Admiral Bolithos Erbe: Ein Handstreich in der Biskaya - Страница 73
Dann wandte er sich ab, um einer Schar kreischender Möwen nachzuschauen, die unterhalb der Heckgalerie vorbeistrichen. Die jedenfalls waren den täglichen Kampf ums Überleben gewohnt, dachte er.
«Der französische Admiral trimmt seine Bramsegel, Sir«, meldete Inch.
Bolitho sah, daß der Bug des Flaggschiffs sich langsam am Heck des Führungsschiffs vorbeischob. Also hatte er Remonds Absicht richtig erraten. Nun hing alles von den Männern in seiner Nähe ab.
«Kapitän Inch, was jetzt kommt, muß sehr präzise ausgeführt werden. «Lächelnd berührte er seinen Arm.»Aber ich brauche Ihnen ja nicht zu sagen, wie Sie Ihr Schiff zu führen haben, wie?»
Inch strahlte vor Freude.»Vielen Dank, Sir!«Dann wandte er sich wieder seinen Leuten zu.»Mr. Graham, bemannen Sie die Brassen. «Dann schoß sein Zeigefinger vor, als wolle er einen Leutnant unten auf dem Batteriedeck aufspießen.»Mr. Synge! Sind beide Batterien wie befohlen geladen?»
Der Leutnant spähte zum Achterdeck hinauf und antwortete nervös:»Aye, Sir! Ich — ich habe nur die Vollzugsmeldung vergessen,
Sir.»
Inch funkelte den unglückseligen Leutnant böse an.»Freut mich zu hören, Mr. Synge. Ich dachte schon, Sie halten mich für einen Hellseher.»
Die Männer an den nächsten Kanonen kicherten, verstummten aber sofort, als der Leutnant mit rotem Gesicht zu ihnen herumfuhr.
Bolitho sah den Franzosen entgegen — fast ohne jede Emotion, wie er zu seiner Überraschung feststellte. Denn nun hatte er sich festgelegt. Wie die Sache auch ausgehen mochte, jetzt konnte er keinen Rückzieher mehr machen, selbst wenn er das gewollt hätte.
«Klar zur Wende!»
Die Männer an den Brassen und Schoten duckten sich und ließen die Muskeln spielen, als machten sie sich bereit zu einem Ringkampf.
«Ruder nach Lee!»
«Fiert weg — holt dicht!»
Bei dieser rauhen Behandlung schien das Schiff einen Augenblick zu bocken, aber dann — nach einer kleinen Ewigkeit — drehte es gehorsam den Bug zum Wind.
Grahams Befehle schienen von überall her zu kommen.»Hol über den Baum! Fier auf die Bram-Bulins!»
An jeder Kanone stand ein Stückmeister und spähte durch seine Stückpforte auf den viereckigen Ausschnitt der leeren See hinaus, unberührt vom Donnern der Segel, dem Knarren der Blöcke und dem Stampfen vieler Füße über seinem Kopf.
Bolitho konzentrierte sich auf das französische Führungsschiff und sah mit kalter Genugtuung, daß es seinen Kurs eisern beibehielt, obwohl der Kommandant sich doch eigentlich hätte fragen müssen, was der Engländer mit seinem Manöver bezweckte.
Folgsam luvte Odin weiter an, auch wenn sie mit ihren schlagenden Segeln und schwingenden Rahen für jede Landratte ein chaotisches Bild bieten mußte. Aber sie fuhr sich nicht fest, ihre Restfahrt schob sie zuverlässig durch den Wind auf den anderen Bug, und als die Rahen wieder angebraßt wurden und die Segel steifkamen, begann sie langsam, aber unaufhaltsam den ansegelnden Feindschiffen ihre Steuerbordseite zu präsentieren.
Graham brüllte durch sein Sprachrohr:»Einzelfeuer!»
Inchs Säbel zischte durch die Luft nach unten, und eine nach der anderen krachten die Kanonen der Odin auf beiden Decks; aus der unteren Batterie spuckten sie die gewaltigen Doppelkugeln, aus der oberen fuhren kreischend die Kettenkugeln.
Bolitho hielt den Atem an, als die Kugeln der vordersten Kanonen ihr Ziel fanden. Ein Beben lief durch das französische Schiff, als sei es — wie zuvor das Wachschiff — auf Grund gelaufen. Aber die Beschießung hörte nicht auf, die Leutnants schritten weiter von
Kanone zu Kanone, während eine Abzugsleine nach der anderen gespannt wurde. Das gleiche Bild mußte sich auf dem unteren Batteriedeck bieten, wo es im geschlossenen Raum und mit den wild hantierenden, halbnackten Männern eher noch infernalischer zuging. Sie feuerten, sprangen zurück, wischten aus, luden nach, stopften und feuerten abermals.
Die Spur der Kettenkugeln ließ sich leicht verfolgen: Bolitho sah das ganze Vorgeschirr des Feindes mit Segeln und laufendem Gut in Fetzen gehen und die gebrochene Fockmaststenge über die Seite in die See fallen, wo sie hinter einem hohen Gischtvorhang verschwand. Ihr totes Gewicht wirkte sich sofort wie ein übergroßer Treibanker aus, und Bolitho beobachtete, wie der Bug des feindlichen Schiffes unkontrolliert herumschwang und in den Wind drehte.
«Ziel auffassen, Jungs! Feuer!»
Die Doppelkugeln krachten in das schwer havarierte Schiff, rissen Kanonen um und fuhren Tod und Verderben speiend durch die Decks. Oben brachen immer mehr Leinen und Spieren und boten immer mehr Segelfläche den Kugeln dar, die das Tuch durchlöcherten, bis es in Streifen davonflog.
Inch rief:»Achtung auf der Back — Feuer frei!»
Die Steuerbord-Karronade spuckte Feuer und Rauch, hatte aber etwas zu hoch gezielt, so daß die große Kartätschenkugel auf dem Seitendeck des Feindes platzte. Ihr Einschlag richtete keinen großen Schaden an, aber die Wirkung ihres Schrothagels war entsetzlich. Dort hatten etwa zwanzig Männer fieberhaft gearbeitet, um Wanten und Stagen der jetzt nutzlosen Fockmaststenge zu kappen. Sie wurden von der Kartätschenladung zerfetzt, und ihr Blut färbte die Bordwand vom Schanzkleid bis zur Wasserlinie rot.
Aus der Ferne sah es so aus, als sei das Schiff selbst tödlich getroffen und verblute jetzt.
«Klar zur Kursänderung nach Steuerbord!»
«Braßt an die Blindenrah!»
Einige wenige Kugeln des Feindes schlugen in die Bordwand, bewirkten aber nur, daß Odins Seesoldaten noch wütender zurückschossen.
Bolitho fühlte den Wind auf der anderen Wange und hörte die Segel knatternd protestieren, als Odin jetzt mit dem Heck durch den Wind ging. Odin war zwar keine wendige Fregatte, aber unter Inchs Führung manövrierte sie fast genausogut.
Eine starke Fallbö riß den Rauchvorhang weg, so daß Bolitho das französische Flaggschiff erkannte; es stand so dicht am Steuerbord-Kranbalken der Odin, als hätte es sich dort verfangen. In Wirklichkeit betrug die Distanz zwar noch eine gute Kabellänge, aber immerhin konnte Bolitho Trikolore und Admiralsflagge knattern sehen und die fieberhafte Aktivität auf ihrem Achterdeck beobachten, als der Kommandant sich verzweifelt bemühte, einer Kollision mit dem zerschossenen Führungsschiff zu entgehen.
Bolitho hob sein Glas und wartete ab, bis seine Batterien abermals eine Breitseite auf den hilflosen Franzosen abgefeuert hatten. Er spürte, wie die Decksplanken unter seinen Füßen sich bei den Rückstößen aufbäumten, sah die wilden, fast irrwitzigen Augen der Männer an den Achtzehnpfündern, die sich in die Taljen warfen, um ihre Kanonen zum nächsten Schuß wieder auszurennen.
Als er durchs Glas blickte, stand die hohe Heckgalerie des Franzosen wie zum Greifen nahe vor seinem Auge und darauf der mit vergoldeten Lettern geschriebene Schiffsname: La Sultane.
Er hob das Teleskop leicht an und bekam einige ihrer Offiziere ins Blickfeld; einer fuchtelte zu den Rahen hinauf, der andere wischte sich das Gesicht wie nach einem tropischen Regenguß.
Und einen Augenblick lang sah er, ehe die Kanonen erneut aufbrüllten, den Zweispitz des französischen Admirals und dann — als der Mann abrupt zur Hütte schritt — sein Gesicht. Das war Konteradmiral Remond, ohne Zweifel. Bolitho hätte ihn überall wiedererkannt.
Allday sah Bolithos Miene und begriff.
Viele Stabsoffiziere hätten damals das Angebot des Franzosen akzeptiert, bedeutete es doch, in einem bequemen Haus, mit Dienern und allem erdenklichen Luxus in Ruhe auf einen Austausch zu warten. Remond aber hatte nicht verstanden, warum Bolitho all dies ausgeschlagen hatte: geopfert für die Chance, es den Franzosen heimzuzahlen.
Das war natürlich der blanke Aberwitz, dachte Allday melancholisch, aber seltsamerweise ließ seine Furcht vor dem Kommenden etwas nach.
Ohne Alldays prüfenden Blick zu bemerken, wandte Bolitho sich jetzt dem havarierten Franzosen zu. Das Schiff war nach dem pausenlosen Beschuß so gut wie kampfunfähig, aus seinen Speigatten rann es rot über die durchlöcherte Bordwand: ein Zeichen dafür, daß die Besatzung ihr übergroßes Selbstvertrauen mit dem Tode büßen mußte.